Dienstag, 13. Oktober 2009

Auf ein Neues - Bologna beinahe begnadet

Es ist Montag, ich sitze im Bett, esse eine Schale gescheites Müsli, dazu blaue Parmalat-Milch – und habe dem plötzlich aufkommenden Willen, neueste Erlebnisse niederzuschreiben, nicht absagen wollen. Überhaupt ist es hier grad saubequem, schaute ich doch eben den gestrigen Tatort, höre nebenher ganz leise aus der Ferne eine Verdi-Oper, irgendeine Arie, woher sie auch immer kommen mag. Verdi aus der Nähe, die Aufzeichnung vielleicht aus dem Appartement etwas tiefer. Dem mit dem besonders schicken Interieur. Jetzt verstummte der Sopran, ja, ich glaube, es war Sopran. Die Milch ist übrigens nicht wirklich blau, aber Parmalat (ja, das ist die Firma, von der Niki Lauda immer diese furchtbare rote Kappe getragen hatte) färbt die Milchflaschen in dieser Farbe ein. Es gibt hier an die zehn Sorten Milch – aber die blaue ist die beste, glaubt es mir.

Die letzten Tage, ich vermute, es waren wieder einige, vergingen sehr rasch. Überhaupt rennt die Zeit nur so vor sich hin. Es ist Mitte Oktober, und ja, ich bin nun schon anderthalb Monate hier. Indes wird es nicht langweilig, wie Langweiler unter Euch vielleicht vermuten würden. Eigentlich gibt es ja auch gar keine Langweiler unter Euch, aber wer weiß, wer hier alles noch so Stalkerallüren verfallend herumliest. Nein, langweilig ist es beileibe nicht. Die letzten zwei Wochen sind Zeugen vieler Neuigkeiten geworden.

Ad eins, l'università. Mein unbeschreiblich großes Taktgefühl gebietet es mir, an erster Stelle die Uni zu erwähnen. Ja, das ist in der Tat ein Abenteuer. Wenn Heidelberg "Elite. Seit 1386" für sich proklamiert, könnte Bologna ja per se qua älteste Uni der Welt noch dicker auftrumpfen. Tut es aber nicht. Das liegt daran, dass der Unibetrieb jeder Perfektion oder annähernder Elitesse spottet. Ihr könnt es Euch wirklich nicht vorstellen. Dass die Uni niemanden interessiert, erwähnte ich ja schon des Öfteren. Aber auch Herangehensweise, Didaktik und Selbstverständnis im Studium sind gruselig. Glaubt nicht, dass man hier Gesetzestexte verwenden darf. Aber man muss den Inhalt der Gesetze auch nicht kennen. Systematik – verlangt hier niemand. Man muss nur das wissen, was der Professor "vorliest" (sic!). Im italienischen Jurastudium gibt es keine Fallbearbeitung und keine wirkliche Studententeilhabe. Es gibt auch keine Gesetzessammlungen so wirklich, weil die Gesetze ja jederzeit nach Gusto geändert werden und noch nicht einmal Namen (und denklogisch auch keine Abkürzungen) tragen. Gesetze haben Nummern. Das tut doch weh, Leute. Nun ja, heut morgen war ich in der IPR-Vorlesung, einer der wenigen, die mir bislang wirklich gefallen haben. Ist aber für gewöhnlich auch erst fürs fünfte akademische Jahr geplant; viel wichtiger ist freilich Seehandelsrecht, das sechsstündig auftritt. Häfen entdeckte ich indes noch nicht. Höchstens Häfen der Trauer, wie wenig Tradition doch sowohl von Uni- als auch von Studentenseite erkannt und gelebt wird. Stellt Euch also einfach Heidelberg vor, setzt eine Klammer drum und schreibt ein hoch minus eins dahinter. Und wie es so oft ist, zählt der erste Eindruck. Vertan.
Aber lustig ist es natürlich schon alles. Allein die Kommilitonen und Professoren sind schon zum Teil wirklich beschmunzelnswert. In Norditalien sind alle Menschen grds. schick, außer zwei Drittel der Studenten und die meisten Professoren. Heut war ich im Völkerrecht und eigentlich hätte ich diese krude, wüste, gruselige Sakko-Jeans-Turnschuh-Kombination des professore wirklich irgendwie fotografieren müssen. Da lob ich mir doch unsere Ebke-Riege. Im Ergebnis ist es ja auch nicht so wichtig, wie das hier mit der Uni läuft, liegt doch eine Erasmuszeit an. Deswegen schon viel zu viel der Worte hierüber; lasst mich weitergehen.

Ad zwei, die freizeitlichen Amüsements und Wandelungen. Ich habe einen neuen Mitbewohner, den Max. Nicht Maximilian. Franzose, der Vater Frankokanadier, und er irgendwie Frankoamerikaner. Eine Erfrischung, die willkommener nicht sein konnte. Grundsympathisch, ordentlich und humorvoll, nicht nervig und gleichzeitig interessant. Aber nicht nur er. Das ist auch ein Freund von ihm, der des Öfteren bei uns zu Besuch kommt – ein Amerikaner. Aber er mutet so gar nicht amerikanisch an; nein, auf mich ist es die bebilderte Reinkarnation eines Walter Faber, dieses 50er-Jahre-Stils mit Panamahut und toller Brille, mit Hosenträgern und coolen Hemden. Wirklich faszinierend, was ihn antrieb, diesen Lebenswandel ja einmal irgendwann durchzuführen. Wer Schlöndorffs Verfilmung zu "Homo faber" sah oder gerade herausgekramt hat – justamente das ist er. Und so ist unsere WG belebt und freilich auch in hinreichendem Maß distinguiert. Alles andere wär für mich auch eine Katastrophe. Wir sind am Pizzabacken, am Ragoutkochen und sonstiger Zutatenverschleuderei auf höchstem Niveau. :)
Aber auch außerhalb unseres Palazzo verfällt Bologna nicht in Herbstdepression oder Winterstarre. Es gibt so furchtbar wenig Grün hier, das ist wahr. Und mir fehlen die Berge, der Königstuhl, der Heiligenberg, all das Blattgrün, das Gold des Herbstes, der Nebel über dem Neckar und der Stadt, wenn ich früh, sehr früh irgendwohin geradelt war. Dieses romantische Motiv unseres schönen Heidelbergs – das gibt es hier nicht. Sommerausläufer (ja, bis gestern hatte es noch unentwegt 25 Grad und man konnte ohne Weiteres mit umgeschlungenem Pulli abends herumschlendern) dauern fort, die Leute essen Eis und tragen ihre Sonnenbrillen, ganz egal wie trüb es vielleicht auch kurzzeitig ist. Das steckt übrigens an – selbst im Treppenhaus hab ich es mir schon angewöhnt. So trotzen wir dem Zustand der Stadt in der kalten Jahreszeit, den ich mir auch gar nicht richtig vorzustellen vermag, fehlt ihr dazu doch eben diese Romantik, um Schönheit beizubehalten. Warten wir's ab. Unterdessen zelebrieren wir regelmäßig einen Aperitivo, trinken Sprizz tagein, tagaus, ab und an wie jüngst sogar echtes Bier, also deutsches Bier, also bayerisches Bier, also Erdinger. Und das, obwohl und selbst wenn die Damen der Schöpfung in der Mehrheit sind. Und wir kochen zusammen, neulich erst erstklassiges Risotto mit viel schönem Parmigiano. In der letzten Woche dann machten einige von uns einen, soll heißen den groß organisierten Ausflug nach Süditalien. Sie schauten sich Neapel, Pompeji, den Vesuv und nicht zuletzt – wie wunderschön – Capri an, sodass man hat neidisch werden können. Aber Neid ist was für Ideenlose. Weil ich ja für zwei Semester hier weile, plane ich erwartungsvoll, im Frühjahr, im Sommer, wenn sich Italien von seiner reizvoll-mondänen und schönsten Seite zeigt, diese Reise ohne allzu enges Zeitfenster nachzuholen. Flüge, ja, die gibt es auch dorthin, meine Lieben. Statistisch gesehen hinkt Ihr besuchtstechnisch sogar ein ganzes Stück hinterher, weil bislang niemand von Euch dagewesen ist, während ansonsten ganz viele noch die letzten schönen Sonnenstrahlen haben genießen wollen. Dass die Stadt sich auch jetzt noch von ihrer besten Seite präsentiert, stimmt glücklich. Vor Kurzem erst ein atemberaubendes Feuerwerk, das ich in dieser Größe und Länge eigentlich noch nicht gesehen hatte. Mitten auf der Piazza Maggiore fand es statt, von überallher, selbst von den Dächern der benachbarten Palazzi ab starteten die buntesten Farben, die tollsten Lichterspiele, das lauteste Grollen. Alles dann untermalt von klassischer Musik, gekrönt selbstverständlich von Händels Feuerwerksmusik. Zurecht. Tja, und so können wir den Stadtneulingen, die noch mehr Neuling als wir sind, ganz vieles, ganz Feines, ganz Tolles zeigen. Ein Vergnügen, das mir das erste Mal noch und bald bevorsteht – wie ich mich doch freue!

Und so sehe ich, ad drei, einer glänzenden Zeit entgegen, von der zu berichten es mir riesige Freude machen wird. Wir aber hören, sehen, lesen uns schon in vielleicht zwei Wochen wieder. Mein Fenster steht sperrangelweit offen, ein nunmehr kühleres Lüftchen weht über die Tastatur, meine Finger werden lahmer und ich befinde nun aufzuhören. Nur iTunes scheint das nicht zu interessieren, spielt es doch grad trotzig einen Italo-Sommerhit. Na, das können Zeiten werden...

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